Yayoi Kusama und die Sammlung ihres Arztes
/ Welt am Sonntag

Yayoi Kusama, das ist die 92jährige Künstlerin aus Japan, mit knallrotem Pagenkopf und einer Welt aus Punkten und Spiegeln, die in immersiven Räumen einen Kosmos der Unendlichkeit bilden. Für ihre Environments ist die Künstlerin inzwischen berühmt, und wie gut sie darin aussieht (und nicht nur sie, sondern beispielsweise auch George Clooney), kann man längst auf Instagram bewundern. Punkte setzt Kusama, die teuerste lebende Künstlerin der Welt, auch auf Riesenkürbisse, die heute die Vorzeigestücke in Museen und Privatsammlungen sind. Sehr viel unspektakulärer, aber umso zarter, poetischer und vielleicht auch faszinierender sind Kusamas frühe Zeichnungen und Bilder, die so etwas sind wie stille, intime Wiedergänger ihrer Innenwelt. Denn bevor Kusama zum Superstar wurde, musste sie kämpfen. Nicht nur als Künstlerin, die in der New Yorker Pop-Art-Szene um Anerkennung rang, die jedoch Andy Warhol und Claes Oldenburg vorbehalten blieb, die sich bei ihren Ideen bedienten. Sondern auch, weil sie als Kind im strengen Japan miterleben musste, wie ihr Vater die Mutter betrog. Kusama verarbeitete ihr Leiden in Bildern, doch die Mutter nahm ihr die Malutensilien weg mit den Worten, dass sie einen reichen Mann zu heiraten und Hausfrau zu werden haben. Für Kusama gab es keinen größeren Alptraum. Und so wanderte sie 1958 in die USA aus und tauschte das Leben in einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie gegen ein prekäres Künstlerinnendasein ein. Was sie mitnahm, um es in ihrer Kunst zu verarbeiten, war nicht nur das familiäre Trauma, sondern auch die Halluzinationen, die sie als Zehnjährige erlebte: Das Eintauchen in ein Punktefeld, in dem sie sich selbst völlig auflöste. Diese schöne, aber beunruhigende Vorstellung legte den Grundstein für ein überaus sensibles Werk, das ohne Psychose nicht denkbar ist. Mag sein, dass man das bei ihren großartigen Spektakelräumen heute schnell vergisst. Aber man muss sich nur die Arbeiten anschauen, die nun am 12. Mai bei Bonhams versteigert werden, um zu begreifen, woher der Impuls dieser Künstlerin rührt, die seit Ende der Siebzigerjahre wieder in Tokio lebt – in einer Nervenheilanstalt, in die sie sich selbst einlieferte. Die Arbeiten, die bei Bonhams angeboten werden, sind etwas ganz Besonderes. Sie stammen aus der Privatsammlung von Dr. Teruo Hirose und haben das Licht der Öffentlichkeit nie zuvor erblickt. Hirose war ein Jahr vor Kusama nach New York gekommen, behandelte nach Feierabend Künstler, die sich keinen Arzt leisten konnten und ließ sich in Kunstwerken bezahlen. Kusama kam oft – nicht nur, weil sie körperliche Leiden zu kurieren hatte, sondern auch, weil sie jemanden zum Reden brauchte, der ihre Sprache sprach. Hiroses Frau Shigeko wurde zur Vertrauten der Künstlerin. Was so entstand, war eine Freundschaft, die bis zum Tode des Arztes 2019 hielt. Das Ehepaar besuchte Kusamas Ausstellungen, von denen es spät aber immerhin, seitdem sie 1993 den japanischen Pavillon auf der Biennale von Venedig bespielt hatte, immer mehr gab – endlich auch in Amerika, wo es Kusama schwerer hatte als in Europa, wo sie vor allem in Holland und Deutschland viele Performances inszenierte und Punkte auf nackte Körper der Beteiligten setzte: aufsehenerregende Aktionen, die ihre zarten, frühen Papierarbeiten und Leinwände ins Hintertreffen schoben. In der Ausstellung im Gropiusbau, die hoffentlich bald wieder öffnen darf, sind schönerweise solche Arbeiten zu sehen, die einen ähnlichen Duktus haben wie die nun auktionierten Werke. Von denen sind die Teuersten „Mississippi River“ und „Hudson River“ von 1960 auf 2,5-4,2 Millionen Euro taxiert. Es sind Gemälde aus einer von strömendem Flusswasser inspirierten Serie, die eng mit Kusamas berühmten „Infinity Nets“ verwandt sind – Bildoberflächen aus dicht verwobenen Punkten, die seit 1958 in rascher Folge auch auf großen Leinwänden entstanden: eine Mischung aus Op, Pop und Minimal Art, denen die psychologische Komponente des Surrealismus, aber auch das Zen des japanischen Buddhismus eingeschrieben waren. Repetition, Obsession und Konzentration, Nullpunkt und Unendlichkeit wurden eins. Kein anderer Künstler dieser Zeit hat ähnlich kraftvolle, innovative Arbeiten hervorgebracht. Frühere Zeichnungen wie „Oceans of Love“ (1953) und „Flower Petal“ (1953) erinnern dagegen an Glühwürmchen, Zellen oder Energieströme im luftleeren Raum und vermitteln eine Atmosphäre aus traditioneller japanischer Ästhetik und lyrischer Abstraktion. Es heißt, Kusama sei mit zweitausend Zeichnungen im Koffer von Japan nach New York gezogen. Dass diese Arbeiten heute in Sammlungen wie dem Museum of Modern Art zu finden sind, ist keine Selbstverständlichkeit. Kusama hat in der selbstgewählten Isolation in Japan zwar stetig weiter daran gearbeitet, dass die Welt in ihre Ganzheitsvisionen von Liebe, Körper und Universum erleben kann. Aber zum Superstar war es ein langer Weg. Mit diesen drei Gemälden und acht Papierarbeiten ist kommt möglicherweise Kusamas speziellste und kostbarste Werkgruppe aus der Zeit der späten Fünfziger und frühen Sechzigerjahre zusammen, die jemals auf den Markt gebracht wurde.